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Berichte Das 146.786te Kind  „Handicaps sind ein Luxus, den sich nur Gewinner leisten können.“ Verfasser Unbekannt Kontakt & Impressum Datenschutzerklärung

Ulla, Svea, Anna und Sabrina

Es ist für Betroffene nicht einfach, tagtäglich mit dem Poland-Syndrom zu leben und sich damit auseinander-

zusetzen. Vier Frauen haben sich getraut, von Ihrem Leben mit dem Poland-Syndrom zu erzählen. Um Ihre ganz persönlichen Erfahrungsberichte zu lesen, bitte auf eine der Silhouetten klicken!

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Bevor ich anfange irgendetwas über mich zu erzählen, möchte ich eins sagen, ICH KOMME ZURECHT. Ich bin nicht behindert, ich bin normal und es geht mir gut. Egal welchen Eindruck ihr von meinem Leben mit dem Poland- Syndrom bekommt vergesst nie, MIR GEHT ES GUT.



 


Noch kurz ein paar Vorinformationen die ich interessant fand.


Mehr Jungs wie Mädchen haben Poland- Syndrom, das hängt zusammen mit den X und den Y Chromosomen. Das Poland- Syndrom tritt sporadisch auf oder wird Autosomal- dominant vererbt. Es ist somit eine Chromosomenaberration. Die Auftrittswahrscheinlichkeit bei Geburt liegt bei etwa 1-3 : 100.000. Für das Poland-Syndrom wird eine vaskuläre (zu den Blutgefäßen gehörende) Ursache angenommen, z.B. eine unterbrochene Blutzufuhr um den 46. Tag nach der Befruchtung.


 


Mögliche Symptome sind:







 



Alles was nun kommt finde ich ebenfalls interessant ist aber von mir selbst berechnet und beschäftigt sich mit der Frage: „Wie viele?“.



Wie viele Kinder die auf die Welt kommen haben das Poland- Syndrom?

Um dies zu berechnen nehme ich den Mittelwert von 1-3: 100.000 und sage jedes 2:100.000. Wenn man jetzt davon ausgeht das jedes Jahr ca. 685.000 Kinder auf die Welt kommen, dann käme ca. jeden Monat ein Kind mit Poland- Syndrom auf die Welt. Ganz genau wären es 13,7 pro Jahr.



Das wie vielte Kind das auf die Welt kommt hat es links?

2/3 der Menschen mit Poland- Syndrom fehlen rechts die Muskeln und nur 1/3 links. Das heißt jedem 146.786ten Kind fehlen sie links. Ich bin also das 146.786te Kind.



Wie viele müsste es von uns in Deutschland geben?

De Lebenserwartung liegt zurzeit für Jungen bei 76,6 Jahre und für Mädchen bei 82,1 Jahre. Auch hier nehme ich den Mittelwert 79.35 um zu errechnen wie viel Menschen mit Poland- Syndrom zur Zeit in Deutschland leben müssten. Und es wären 1.087. Nun die Frage wo sind sie alle? Zurzeit gibt es ca. 100 registrierte Fälle in Deutschland.



Ich glaube, dass die registrierte Anzahl in den nächsten Jahren explosionsartig ansteigen wird. Spätestens wenn meine Generation ins Rentenalter kommt und ich hoffe das wir dann interessant für die Forschung werden.


 


Nun zu mir.


Ich bin weiblich, kam 1988 zur Welt und mir fehlen die Muskeln links.


Kurz nach meiner Geburt, mit 6 Monaten, wurde bei mir das Poland- Syndrom festgestellt. Mein damaliger Kinderarzt stellte bei mir gewisse Bewegungsanomalien fest, weswegen er meine Eltern mit mir in die Uniklinik schickte. Dort wurde ich dann gründlich untersucht.


Die Diagnose des dortigen Professors war, dass mir der Hauptbrustmuskel (der pectoralis major) sowie der Hauptschultermuskel (der romboideus major) fehlt, das ich eine Trichterbrust hätte sowie verbogene Rippen. Mittlerweile weiß ich, dass mein linker Lungenflügel ebenfalls zu klein ist.


Meine Eltern wurden angewiesen verstärkt auf mich aufzupassen, da ich nicht so stark wie normale Kinder wäre und somit später mehr fallen lassen würde, ich würde nie Liegestütze machen können, sie sollten mich nicht klettern lassen, da ich mich nicht halten könne, etc. pp.


Das ist völliger Schwachsinn, jedes Kind bildet Muskulatur aus, auch ein Kind mit Poland- Syndrom, bei uns übernehmen andere Muskeln die Arbeit.


Die damalige Aussage der Ärzte hat Auswirkungen auf die Gegenwart.


Kinder die zu sehr „geschützt“ werden, sind laut Studien im Erwachsenenalter unselbstständiger und unsicherer, wie ihre Altersgenossen.


Dies ist auch bei mir der Fall. Ich bin sehr ängstlich und vorsichtig, habe Angst vorm Klettern auf Bäume, traue mir nichts zu etc. pp.




Meinen Eltern mache ich deswegen keine Vorwürfe, sie können nichts dafür. Sie hielten sich an das was die Ärzte ihnen sagten, eine andere Möglichkeit hatten sie auch nicht. Bücher gab es damals noch keine und wenn doch waren sie in Englisch oder Ärztedeutsch verfasst.


Die Ärzte hatten alle keine Ahnung und die Krankengymnasten waren ihnen auch keine große Hilfe. Mein Gendefekt war einfach zu besonders. Meine Eltern mussten den Ärzten und Krankengymnasten immer erst erklären was ich habe. Niemand konnte sich vorstellen, dass so was möglich wäre, dass Menschen Muskeln fehlen könnten.


Seit Geburt ging ich zur Krankengymnastik, zuerst zur Vojta- Therapie und später zur Krankengymnastik zum Muskelaufbau, wegen der Gefahr der Buckelbildung.


Ich bin der Meinung, dass Kinder mit Poland- Syndrom diese Therapie machen sollten. Denn geschadet, hat es mir auf keinen Fall und ich persönlich finde, dass man immer alles probieren sollte.


Ja, es nervt und ja, ich wollte lieber spielen gehen, aber im Endeffekt war es gut so. Kinder sollten die bestmögliche Förderung bekommen um sich so normal wie möglich zu entwickeln. Auch körperlich normal. An dieser Stelle danke schön an meine Eltern.


 



Trotz vieler Arztbesuche um an Atteste für den Sportunterricht zu kommen, bemerkte keiner, dass die Diagnose des damaligen Professors falsch war. Erst 18 Jahre später kam heraus, dass damals die falschen Muskeln für die Fehlenden gehalten wurden.


Mein damaliger Orthopäde bemerkte, dass der Schultermuskel vorhanden war. Seine damalige Reaktion darauf, „du hast kein Poland- Syndrom“. Eine Welt brach für mich zusammen, denn irgendwie nach 18 Jahren war es ein Teil von mir und dadurch ließ sich auch so vieles erklären und auf einmal sollte diese Erklärung nicht mehr wahr sein.


Ich wechselte den Orthopäden und ließ mich per Ultraschall im Brust und Rückenbereich untersuchen. Bei dieser Untersuchung kam heraus, dass mir der Rückenmuskel (latissimus) fehlt. In diesem Moment war ich einfach auf eine verquere Weise froh, dass mir „doch“ was fehlte, dass ich „doch“ das Poland- Syndrom hatte.


 


Erst in der Zeit der Pubertät, begannen meine Probleme mit dem Poland-Syndrom.


Bis dahin war der einzige Unterschied zwischen den „Gesunden Mädchen“ und mir, dass ich einmal die Woche zur Krankengymnastik musste. Doch auf einmal hatten die zwei gleichgroße Brüste und ich nicht. Daran hatte ich lange Zeit zu knabbern und das Problem ist nun mit fast 22 Jahren immer noch nicht vollständig weg. Ich meide Schwimmbäder und Saunas. Bei Klassenfahrten habe ich bis vor kurzem nur mit BH geschlafen und in neuen Beziehungen fühle ich mich zu Anfang unwohl und frage mich immer wie wird er darauf reagieren? Wie kann er mich schön finden? Und das alles, obwohl ich noch nie ein negatives Wort oder Bemerkung gehört habe.


 

Meinen ersten Freund hatte ich mit 17, er behauptete es nicht zu sehen und auch alle anderen sagten „Ich sehe nichts“. In diesen Momenten dachte ich einfach nur für mich, ist ja nett von dir aber ich bin ja nicht blind. Wenn der Kerl nichts sieht ist er in meinen Augen blind, unaufmerksam, ein Lügner.


Bis jetzt haben es erst zwei richtig gesagt. Der eine sagte, „Ich sehe es aber es ist mir egal denn ich liebe dich so wie du bist. Das gehört zu dir und das macht dich aus und so ist es gut“. Der andere sagte einfach “mir egal“ und ich habe es ihm geglaubt und irgendwie ist es seit dem kein Problem mehr für mich.


Bei Sex mit Licht fühlte ich mich immer unwohl, ich verkrampfte und zog die Arme vor die Brust, es war für mich sehr unangenehm aber mittlerweile macht es mir nichts mehr aus.


Ich habe mich entwickelt und verändert. Mittlerweile akzeptiere ich mich so wie ich bin, so lange es in einem geschützten, sicheren Raum ist. Das heißt, ich habe immer noch Probleme mit Bikinis in der Öffentlichkeit.


 



Meine Meinung zu Behindertenausweisen ist, das wir nicht behindert sind, wir somit so etwas nicht brauchen. Behindert ist ein Mensch, der wegen geistigen und körperlichen Einschränkungen auf fremde Hilfe angewiesen ist. Das sind wir nicht.


Ich bin auch nie in dem Bewusstsein aufgewachsen ich könnte eventuell behindert sein.


Wenn ich zu meinen Eltern sagen würde ich bin behindert, würden die mir auch einen Vogel zeigen und mich auslachen. Okay auslachen nicht aber sie würden mir einen Vogel zeigen. Ich finde das gut so. Denn ich weiß ich wiederhole mich aber ich bin es ja auch nicht. Ich möchte mich auch gar nicht mit Menschen vergleichen die wirklich behindert sind. Denen geht es um einiges schlimmer wie mir und es wäre anmaßend mich mit ihnen gleichzustellen. Ich habe behinderte Menschen kennen gelernt und nein so wie denen geht es mir nicht. So schlimm wie die bin ich nicht dran.


Von meinen besten Freunden weiß jeder, dass ich das Poland- Syndrom habe und das ändert nichts an unserer Freundschaft und hat es auch noch nie. Wenn ich jedoch vergessen habe es einem zu erzählen, dann nur weil es so normal für mich geworden ist. Meine Freunde akzeptieren mich und sehen mich als normal an aber meine Probleme können sie glaub ich nicht verstehen. Wie sollten sie auch voll und ganz. Sie geben sich Mühe keine Frage, aber verstanden werden kann man nur von einem Menschen dem es genauso geht wie einem selbst.


Meiner Schwester konnte ich vor einem halben Jahr, glaub ich endlich klar machen, dass es mir auch anders lieber wäre. Das ich froh wäre, wenn es anders wäre, das es mir auf die Nerven geht das mein Körper links immer mehr kaputt geht, das ich nicht gerne Schmerzen habe und es mir auch anders lieber wäre. Wenn ich nicht von Arzt zu Arzt fahren müsste, wenn die Aufmerksamkeit aller wegen so was nicht immer auf mir liegen würde. Ich will einfach einen gesunden Körper.



Gerade befinde ich mich wieder in einem Schimpfmoment in dem ich das Poland-Syndrom hasse. Er wird gleich wieder vorbei sein und dann werde ich wieder erzählen, dass es schlimmeres wie das Poland-Syndrom gibt, ich Glück habe etc. pp. aber gerade ist mir mehr danach zu fragen wieso ich? Es gibt genug die gesund sind. Warum ich verdammt noch mal? Gerade will ich einfach nur schreien.





Das erste Mal so richtig verstanden fühlte ich mich in der Gruppe ge-handy-cap-t.


Da waren Menschen denen es so wie mir ging.


Vor allem ein anderes Mädchen das ein Jahr älter ist wie ich, war für mich eine sehr große Hilfe. Wir hatten ähnliche Erfahrungen gesammelt, die gleichen Probleme und Ängste.


Im Nachhinein hab ich erfahren das ich ihr ebenfalls geholfen habe, das hätte ich nie für möglich gehalten, als sie dies zu mir sagte wollte und konnte ich es nicht glauben. Sie war die, ich weiß nicht, ältere, die, die mir gesagt hat, dass alles gut wird in der Zukunft, dass ich glücklich werde.


Dafür möchte ich DIR noch einmal DANKE sagen.


DU hast mir am meisten geholfen das Poland-Syndrom zu akzeptieren.


 



Genauso hat es mir dann 2 Jahre später geholfen, mit einem zu reden der ebenfalls in meinem Alter, Poland- Syndrom für das Schlimmste der Welt hielt. Ich wollte ihm helfen und dafür musste ich selbst noch mal über alles nachdenken und ich bemerkte dabei, dass es in Wirklichkeit gar nicht so schlimm ist, Poland- Syndrom zu haben.


Dies war eine meiner Nachrichten an ihn und ich möchte sie auch dir mit auf den Weg geben: „Ich finde es auf gar keinen Fall gut das du dich vorm Leben so abschirmst!!! Wir haben nur das Poland- Syndrom das brauchen wir nicht! Wir müssen uns nicht verstecken. Warum auch? Wir sind nicht behindert rede dir das auch ja nicht ein. Darum wird es da auch keine Stille geben, wenn du es jemandem erzählst. Wir sind nicht behindert und es wird auch keiner denken. Wir sind normale Menschen denen nur Muskeln fehlen. Der Mensch ist mehr als die Summe all seiner Muskeln. Versteck dich nicht!!! LEBE!!!“


 So haben ich gelernt damit umzugehen, verstehen kann ich es jedoch immer noch nicht.


 



Vor einem Jahr erfuhr ich Dinge über meine Familie. Ich spann mir daraufhin meine eigenen Theorien zusammen, bastelte an rezessiven und dominanten Erbgängen, studierte die Familienanomalien und reimte mir Sachen zusammen wie es sein könnte. Dadurch verletzte ich Menschen, durch so Zuweisungen wie, von dir habe ich es, was mir im Nachhinein leid tut, ich war nur so stolz darauf gewesen vielleicht irgendetwas heraus gefunden zu haben. Und vielleicht habe ich ja auch was herausgefunden wer weiß. Ich war einfach froh in diesem Moment. So froh endlich was zu wissen, eine Erklärung gefunden zu haben. Denn am schlimmsten ist dieses Fragezeichen im Kopf wieso? Wie kam es? Wie kann man es erklären? Welches Gen ist Schuld?


 

Damals mit 16 im Internet fand ich auch die ersten Hinweise auf OPs. Daraufhin wollte ich diese unbedingt, ich war unglücklich, fühlte mich hässlich. Aber die Ärzte wollten mich nicht operieren. Da war ich wütend, traurig und am Boden zerstört. Ich war entwicklungsverzögert, noch in der Wachstumsphase und sie wollten warten bis ich 21 Jahre alt bin. Mit 21 nachdem ich drei andere OPs wegen anderen Dingen hinter mir habe und noch 1- 2 vor mir, will ich sie nicht mehr. Ich habe keine Lust auf die Schmerzen, die Ängste, die Möglichkeiten von Komplikationen (bei mir verläuft nie eine OP gut), auf die extreme Narbenbildung (meine Haut vernarbt nicht gut) und zusätzlich dazu habe ich mich mittlerweile mit dem Poland- Syndrom abgefunden.


Man kann damit gut leben.


Man kann damit lieben und geliebt werden.


Man kann es akzeptieren und ab dem Zeitpunkt wird man akzeptiert.


Man kann stark sein und seinen Mitmenschen vertrauen.


Es ist also okay für mich geworden. So okay wie es werden kann.


Ich bin nicht stolz drauf und binde es nicht jedem auf die Nase, aber hey whatever, ich kann auch so glücklich werden.


 



Einen Amerikaner, der seinen Poland- Syndrom- Körper auf Youtube zeigt, habe ich gefragt wie er es geschafft hat, seinen Körper in dem Maß zu lieben das er sich sogar outet vor der ganzen Welt. Ich muss sogar sagen als ich sein Video das erste Mal sah war ich glücklich und stolz. Er schrieb mir daraufhin, dass für ihn damals als er die Diagnose bekam eine Welt zusammen brach, da schon immer sein Traum gewesen war, Bodybuilder zu werden. Das er jedoch gelernt habe, das dies ist wie Gott ihn gemacht habe und das er sehr stolz auf seinen Körper ist. Er habe weiter Sport gemacht und so gegessen wie Bodybuilder essen müssen um am besten Muskeln aufzubauen. Und nun würde er seinen Traum Bodybuilder zu sein einfach leben. Auch mit Poland- Syndrom, er lässt sich davon nicht hindern. Er ist der Meinung das der Teil der ihm fehlt, seinen Körper nicht ruiniert, er findet seinen Körper sogar besonders/ einmalig und cool. Er genießt es regelrecht etwas Besonderes zu sein. Er fasst es als Kompliment auf, wenn jemand in der Disco oder so den Unterschied bemerkt und ihn darauf anspricht.


 

Er freut sich, wenn jemand den Unterschied bemerkt; für mich undenkbar, ich würde sterben, wenn mich jemand auf der Straße ansprechen würde, im Stil von „Sag mal deine eine Brust ist doch kleiner“. Aaaah - mein Alptraum.


Aber na ja bei mir gibt es zum Glück nur kleine Unterschiede, die sich darin äußern, das auf der einen Seite die Brust kleiner ist und höher hängt. Der Höhenunterschied beträgt ca. 2- 3 cm. So auf dem Lineal betrachtet ist es schon viel aber es geht. Diesen Unterschied kaschiere ich durch das Hilfsmittel Pusch UP BH.


Ich habe einfach man muss schon fast sagen Glück, das meine andere Brust auch nicht sehr groß ist von daher fällt der Unterschied angezogen kein bisschen auf.


Okay vielleicht ein bisschen wenn man ganz genau weiß worauf man achten muss und ganz genau hinguckt. Meine Mutter sieht es manchmal und natürlich ich.


Ich kann sogar ohne Probleme enge Wurstpelleoberteile tragen, mit tiefen Ausschnitten.


Damit wir uns richtig verstehen es fällt kein Größenunterschied bei der Brust auf, sondern ein minimaler Höhenunterschied und was am „stärksten“, wenn man hier überhaupt von stark sprechen kann, auffällt ist der Höhenunterschied meiner Schultern und selbst den sieht kein Mensch.


Ich wurde noch nie auf der Straße angesprochen, sagen sie mal ist ihre eine Schulter höher wie die andere? Eher so was, sie sind aber ein lebenslustiger Mensch, auch wenn mich selbst so was stark verwirrt. Aber es passiert.




Einmal meinte einer in der Gruppe ge-handy-capt, er möchte keine Kinder bekommen weil ihm das Risiko zu groß ist, dass diese Poland- Syndrom bekommen könnten.


Ich empfand das als sehr krass. So schlimm ist mein Leben ja nun auch nicht. Ich liebe mein Leben, es ist zwar anders aber dennoch gut. Und wenn es meine Kinder bekommen na und. Was unterscheidet mich denn von den anderen?


Ein äußeres Merkmal das auch nur diese Wichtigkeit durch die Gesellschaft bekommen hat die sagt schöne Brüste sind wichtig.


Wir sind Amazonen (Amazonen waren angeblich Frauen die ohne Männer auf einer Insel lebten und um beim Jagen Pfeil und Bogen besser nutzen zu können sich eine Brust entfernten. Sie waren unabhängige starke Frauen, die keine Männer brauchten, sie sind und waren Kriegerinnen.), wir sind Kämpferinnen wir brauchen keine zwei perfekten Brüste um glücklich zu sein.



 

Ich habe auch mal meinen flüchtigen Freunden, meinen neuen Freunden, meinen Bekannten, Menschen die ich kenne, Frauen und Männern meinen noch unfertigen Text geschickt, um ihre Reaktionen festzuhalten einfach damit ihr wisst traut euch.


Keiner hat gesagt pfui bäh. Die Reaktionen waren eher, das sieht man dir nicht an. Echt du hast so was? Ich bin doch auch nicht perfekt. Ich habe dich doch schon gesehen, du siehst doch perfekt aus.


Die krasseste Reaktion war, dass eine Freundin weinte. Ich habe sie gefragt wieso hast du geweint und sie meinte weil du so viel erlebt hast weil es einfach schlimm ist und weil...und ich sagte nur du musst nicht weinen. Mir geht es gut. Ich komme doch damit zurecht.


Einerseits fand ich es wie gesagt merkwürdig anderseits war es schön. Das Weinen hat mir gezeigt, dass ich nicht überreagiere, wenn ich mich frage wieso ich. Es ist scheinbar schon schlimm. Ich übertreibe nicht und es ist alles okay.


Ja ich weiß ich wiederspreche mir. Einmal sage ich es ist schön zu wissen, dass es schlimm ist und anderseits sag ich es ist nicht schlimm. Aber für mich war es ja all die Jahre schlimm und ich dachte eigentlich immer ich übertreibe.


Somit war es schön, dass einer weinte, aber mittlerweile komme ich ja damit zurecht und somit kann ich jetzt mit noch mehr Überzeugung sagen wie früher es ist nicht so schlimm. Früher konnte ich nur sagen, die körperlichen Einschränkungen sind nicht so schlimm, denn die seelischen waren es ja schon.


 

Die schönste Reaktion bekam ich von einem Freund, er sagte ich zitiere ihn hier eins zu eins: „Was mir an deinen "Memoiren" gefällt ist deine offene Schreibweise.

Du erklärst vieles und schilderst Probleme, die niemand von außen sehen kann.

Ich finde es sehr mutig, wie offen du über deine Erfahrungen schreibst und der Welt erklärst, was es heißt ge-handy-capt zu sein.

Grade deine lebhafte Schreibweise trägt dazu bei, dass man aufmerksam liest, emotional berührt weiter liest und mit einem lachenden und einen weinenden Auge erst mal ein paar Minuten danach sich noch mal alles durch den Kopf gehen lässt.

Verstehen wird man es selbst nicht, wenn man nicht betroffen ist!

Jedoch in dem Moment, in dem man diese Zeilen liest, ist es so, dass man sich wie in einem Buch in die Situation hineinversetzt und sich damit auseinandersetzt.


Ich finde deine Aussage gut die sagt:

„Ich bin ich - ein wenig anders!“


Mir hat dein Text einen kleinen Einblick geschenkt, was meiner Meinung nach sehr wertvoll im Leben ist.“


Ich hoffe euch ging es beim Lesen meines Textes genauso wie ihm.

 


So nun kennt ihr Teile von mir und meinem Leben, wisst wie es in mir aussieht, habt gelesen von Momenten in denen ich fluche und in denen ich sage - jipphie.


Ihr kennt nun also meine Höhen und Tiefen. Urteilt nicht über mich wegen den Tiefen, in die ich noch manchmal rutsche und denkt daran, meine positive Einstellung habe ich in den letzten 3- 4 Jahren gelernt, es kann also nur besser werden.


Wenn ich dies hier in drei Jahre schreiben würde wäre mein Beitrag vielleicht eine Hommage an das Poland- Syndrom, wer weiß das schon. Fragt mich in drei Jahren einfach noch mal.


 


P.S.:


Wenn ihr selbst betroffen seid und momentan in einem Tief sitzt, es kommen bald Tage in denen auch ihr sagt ja ich habe es und nein es ist kein Problem für mich.


Redet mit Menschen denen es genauso geht wie euch. Redet euch alles von der Seele und lernt den Menschen zu vertrauen, das ist der Schlüssel zum Glück.


Wenn ihr die Eltern, Großeltern, Geschwister, Verwandte etc. pp. seid von einem Kind mit Poland- Syndrom, macht euch keine Gedanken, wir sind Amazonen, Kämpfer und Krieger wir können unser Leben ohne Probleme meistern. Vertraut uns einfach, mutet uns alles zu, WIR SIND NORMAL. Und liebt uns einfach so wie wir sind, einzigartig, was besonderes, respektiert uns, hört euch unser Geschimpfe an wenn wir schlechte Tage haben und versteht uns.


Wenn ihr euch einfach so für dieses Thema interessiert, dann danke schön, es freut mich wirklich und am liebsten würde ich dich jetzt fragen, wie du von diesem Thema erfahren hast aber leider geht das nicht.


Und wenn du ein Mediziner bist dann BITTE forsche und schreibe deine Informationen in einer Sprache auf, die ich verstehen kann, denn deine Ergebnisse interessieren mich wirklich. Schon mal vielen Dank.


 



Anhang: Warum ich mich im Endeffekt doch für eine OP entschieden habe


 

„Wenn wir bedenken, dass wir alle verrückt sind, ist das Leben erklärt.“

Mark Twain


 

Seitdem ich an diesem Text gearbeitet habe ist mittlerweile ein Jahr vergangen. Ein chaotisches und wichtiges Jahr das vieles für mich geändert hat. Auch wenn sich jetzt so viel geändert hat, möchte ich das bis jetzt geschriebene nicht löschen, denn es ist das was ich immer noch denke und das immer noch der Realität entspricht. Man kann gut mit dem Poland- Syndrom leben. Ich habe gut damit gelebt und mich damit entwickelt. Vermutlich bin ich sogar so wie ich bin weil ich so lange damit gelebt habe wie ich es getan habe. Und dennoch habe ich für mich entschieden, dass ich es nicht mehr möchte. Ich möchte meinen Traum verwirklichen, ich möchte so sein wie die anderen, frei und sorgenlos. Ohne mich zu fragen sieht man es?


Eine OP stand früher in meiner Familie nie zur Debatte und ich musste lernen damit zu leben und wie gesagt es geht und es ging gut. Nur als sich mir die Möglichkeit bot mich operieren zu lassen ergriff ich sie. Ich erhoffe mir so viel von diesen OPs. Einen liebevolleren Umgang mit mir selbst. Sich selbst leiden zu können. Anziehen zu können was ich will, zu leben. So wie ich es will ohne nachzudenken. Schwimmbad, Shopping ohne überlegen. Einfach die Kleinigkeiten genießen zu können, die die anderen auch erleben. Die Kehrseite dabei ist die Angst. Ich habe Angst davor meine Individualität, mein eigenes Ich, durch die OP zu verlieren aber anderseits war es mein ganzes Leben lang mein größter Wunsch. Dies ist momentan mein eigener innerer Konflikt. Ich kann mir nicht vorstellen wie es aussehen wird. Es wird sehr ungewohnt werden. Ich bin 22 fast 23 Jahre so gewesen und dann wäre es weg. Verschwinde ich mit?


 

Da es immer hieß, dass ich mir frühestens mit 21 über eine OP Gedanken machen kann, habe ich mich damit abgefunden und ich hätte es auch darauf beruhen lassen, wenn nicht mein Vater das Thema mit mir noch mal besprochen hätte. Dadurch wurde mir klar, meine Eltern stehen dahinter. Dadurch, dass meine Eltern mich nie als behindert angesehen haben waren sie auch der Meinung, dass ich diese OP nicht brauchen werde. Ein zweischneidiges Schwert. Es wurde Dezember 2010 und ich hatte das erste Mal das Gefühl für sie kommt eine Operation auch in Frage und ich ging zum Arzt. Danach ging alles rasend schnell. Vorstellungstermine bei diversen Ärzten, Besprechungen über mögliche OPs und mein Entschluss stand fest, ich werde mich operieren lassen. Mein OP- Arzt gab mir das Gefühl nicht die erste mit Poland- Syndrom zu sein, er kannte mein Krankheitsbild. Diese Tatsache hat auf jeden Fall dazu beigetragen das ich mich von ihm habe operieren lassen, denn er war der erste Arzt der es kannte, der erste der nicht nachfragte, mir einfach glaubte das es so was geben kann, der erste der nichts nachlesen musste. Er erklärte mir damals die Vorgehensweise. Bei der ersten OP sollte mir das Narbengewebe entfernt und ein Expander oberhalb der Brustwarze eingesetzt werden. Der Expander würde alle zwei Wochen mit Kochsalzlösung vergrößert und nach drei Monaten dann entfernt werden. Er wollte den Expander oberhalb einsetzen um die Brustwarze nach unten „zu schieben“. Das Narbengewebe, erklärte er mir, entstand dadurch, dass mein Gewebe sich für Muskelgewebe hielt, sich ausdehnte und einfach nur riss. In der zweiten OP würde der Expander entfernt werden und die Brust mit Fett aus dem Oberschenkel oder dem Bauch aufgefüllt werden. Ich habe mich gegen Silikon entschieden, da dieses sich verkapselt und ich bis jetzt nur negatives davon gehört habe. Außerdem kann es sein das Silikon nach 10 - 15 Jahren ausgetauscht werden muss ganz im Gegensatz zum Eigenfett. Egal für was man sich entscheidet, man sollte sich selbst entscheiden. Lasst euch nicht reinreden, ihr müsst damit weiter leben. Auch ich war nicht offen für Alternativen, ich bin stur und wenn ich mich entschieden habe bleibe ich dabei. Vielleicht war es die falsche Entscheidung, aber wenigstens war es meine. Ich kann niemanden dafür verantwortlich machen außer mir. Das ist mir persönlich sehr wichtig. Denn es ist immer noch mein Körper und wenn ihn einer verpfuscht dann doch bitte ich.



 

Warum ich mich gerade jetzt entschieden habe mich operieren zu lassen? Der Grund ist eigentlich derselbe wie beim Eigengewebe/ Silikon. Zum momentanen Zeitpunkt bin ich Single. Die OP ist somit ganz alleine meine Entscheidung, denn ich liebe meinen Körper nicht. Keiner redet mir rein. Keiner sagt mir, dass ich perfekt bin, dass er mich liebt so wie ich bin. Ich entscheide mich für diese OP, damit ich mich lieben kann. Alles was jetzt passiert habe ich selbst entschieden. Es ist auf meinem eigenen Mist gewachsen. Und vor allem, ich muss alleine die Konsequenzen tragen und kann niemand anderem die Schuld geben wenn sich meine Träume nicht erfüllen. Wenn nicht jetzt wann dann?

 

Die OP rückte immer näher und dennoch lag sie für mich noch in weiter Ferne. Nun endlich sollte sich mein Traum erfüllen? Das Ganze kam mir unrealistisch vor und ich erwartete jeden Tag eine Absage. Und auf einmal war der Tag da und ich hatte einfach nur Angst. Was wenn meine Erwartungen nicht erfüllt werden? Was wenn ich danach durch Narben verunstaltet bin? Was wenn was schief geht? Haltet die Welt an ich will aussteigen.


Kurz vor der OP war ich alleine im Zimmer, guckte aus dem Fenster und dachte du kannst immer noch einfach so aus dem Zimmer gehen. Geh. Aber ich blieb und lies mich in den OP schieben. Die OP verlief gut und ohne Probleme. Aufgrund des entfernten Narbengewebes blieb die Drainage länger wie üblich. Mein Arzt erklärte mir 3 - 5 Tage wären bei Poland-Syndrom-Patienten üblich. Ich hatte Schmerzen aber sie lagen im aushaltbaren Bereich. Schwach fühlte ich mich wie noch nie nach einer OP, aber auch das war erträglich. Mein Fazit zu dieser OP es gibt definitiv schlimmeres.

 


Dies war auch die Zeit in der ich aufhörte Geschichten zu erfinden. Darüber was ich hatte, was an mir operiert wurde. Ich hatte auch keine Chance dazu. Der Expander entstellte mich. Ich hätte mich verstecken können aber ich wollte mich nie nie wieder verstecken. Somit ging ich offen auf die Menschen zu, hatte sogar Dates und es war in Ordnung. Die Leute haben mich weiterhin akzeptiert und dies puschte mich weiter und zeigte mir es ist okay wer ich bin.

 


Nach drei Monaten stand die nächste OP an. Ich war froh endlich den unförmigen Expander los zu werden. Er war nur noch störend und mein Ziel hatte ich schon längst aus den Augen verloren. Es dauerte einfach zu lange und es störte mich das ich mich nicht mehr aktiv zu dieser OP entscheiden konnte. Diese OP musste gemacht werden, sie war ein notwendiges Übel. Ich hatte Angst und wusste nicht mehr auf was ich mich freuen sollte. Die Schmerzen, die Schläuche? Auf was? Ich entschied mich, mir ein schönes Kleid einzupacken und mein gedankliches Ziel umzuändern, nicht in eine schöne Brust, denn das konnte ich mir nicht vorstellen sondern in den Gang aus dem Krankenhaus.


Mir eine schöne Brust vorzustellen fiel mir schwer wie sollte ich mir etwas vorstellen was ich noch nie hatte? Wenn ich die Augen schloss, sah ich meinen ehemaligen und meinen momentanen Zustand und beides war nicht das wie ich es mir wünschte. Als der Zeitpunkt der OP näher rückte hatte ich natürlich Angst aber ich war auch froh, dass es bald vorbei sein sollte. Ich hatte wirklich keine Lust mehr und wie gesagt die OP musste gemacht werden so oder so der Expander musste einfach raus.


Die OP dauerte 9 Stunden. Mir wurde aus dem Po Fettgewebe, eine Vene, eine Arterie und ein Hautlappen entfernt und in die Brust implantiert. Dabei ist der Beinnerv die Hauptschwierigkeit da die Vene sich um ihn herumschlängelt oder andersrum. Bei 75 % der OPs wird dieser Nerv durchtrennt. Mein Arzt jedoch entschied sich in einer drei stündigen Millimeterarbeit die Vene vom Nerv zu trennen. Vielen Dank noch mal dafür.




Aufgrund der langen Narkose war es mir den Rest des Tages sehr schlecht. Zum Glück waren meine Eltern da. Den nächsten Tag schlief ich durchgehend, die Narkose hatte mich wohl doch ziemlich mitgenommen. Am übernächsten Tag einem Samstag war um 11 Uhr Visite und ich hörte, das was niemand hören will „Not-OP“. Da ich in einer kleinen Klinik lag konnte so schnell kein OP-Team zusammen gestellt werden. Ich wurde mit dem Krankenwagen verlegt. Dort wurde ich dann 6 Stunden operiert. Ich hatte eine Embolie. Darum wurde meine Vene und Arterie durch eine Vene und Arterie aus der Achsel ersetzt. Ich musste zwei Tage auf der Intensivstation bleiben. Ich hatte viel Blut verloren und bekam Blutplasma angehängt. Der Blutverdünner wurde so weit erhöht wie es möglich war. Die Tage vergingen und ich rannte fleißig mit meinen Fläschchen und Geräten über den Flur. Jeder Tag der verstrich brachte Hoffnung. Das Ergebnis gefiel mir zwar nicht aber das wäre bestimmt noch geworden und so lange es mir gut ging war alles andere eh egal. Meine Entlassung rückte immer näher, ich war so glücklich. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Der Freitag kam und alles änderte sich. Ich bekam Schüttelfrost, lag im Bett und bewegte mich nicht. Mein Arzt kam und ich musste abermals notoperiert werden. Ich hatte schon wieder eine Embolie. Ihr könnt euch meine Verzweiflung nicht vorstellen. Jeden Tag wuchs meine Hoffnung und jetzt. Ich war so verzweifelt, zum Glück waren meine Eltern da. In einer zwei- dreistündigen OP wurde mir das Gewebe entfernt und ein Silikonimplantat eingesetzt. Eine längere OP konnte man meinem Körper nicht mehr zumuten. Mittwochs sollte ich entlassen werden. Es wurde Mittwoch und man kann es sich schon vorstellen, natürlich kam was dazwischen. Ich hatte mir einen resistenten Krankenhaus- Keim eingefangen. Schon wieder, zerstörte Hoffnungen sind so grausam. Ein neuer Tag wurde mir genannt, der Freitag. Donnerstags musste ich dann noch mal einige Ärzte aufsuchen damit man ausschließen konnte, dass sich der Keim nicht in meinem Herzen eingenistet hatte, da mein Blutdruck zu hoch war. Die Ergebnisse sollten mir donnerstags mitgeteilt werden. Darum wartete ich brav in meinem Zimmer, wartete und wartete, es kam niemand. Ich hatte so Angst, werde ich jetzt morgen doch nicht entlassen? Verzögert sich alles doch noch mal. Und wie man es schon bei mir kennt, ich weinte. Ich war so fertig mit den Nerven. Ich lag seit 16 Tagen im Krankenhaus, drei Operationen, drei Rückschläge, viele zerstörte Hoffnungen es wurde mir langsam alles zu viel. Der Freitag kam und ich wurde entlassen. Endlich, ich glaube ich war noch nie so glücklich und ich entschied, nie nie wieder gehe ich ins Krankenhaus!


Nach 17 Tagen Odyssee endlich daheim!


Aber ja auch hier mal wieder -  erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.



Daheim angekommen konnte ich mich endlich in Ruhe betrachten und was ich sah missfiel mir. Da wo früher nichts war hatte ich jetzt ein B-Körbchen, auf der anderen Seite ein kleines A-Körbchen. Der ganze Stress dafür? Ich fühle mich schon wieder so hässlich und diesmal war noch nicht mal die Natur schuld,  sondern nur eine Reihe von Entscheidungen, die ich getroffen hatte. Nein daran wollte ich mich nicht gewöhnen. Dazu wollte ich keinen Bezug aufbauen. Denn es muss einem klar sein, nach 3 Operationen, nachdem wirklich jeder sich das Ganze mal angeguckt hat und das Ganze nur noch Tasche genannt wird, verliert man einfach den Bezug zu seiner Brust. Sie wird zu einem Objekt, zu einem Ding, vergleichbar mit einem Fuß vielleicht.





Es kam der Tag an dem ich zu meinem ersten Poland-Syndrom-Treffen ging. Dort waren Menschen wie ich. Operierte und nicht operierte. Ich sprach mit ihnen über alles. Ich erlebte so viel Verständnis und ich erfuhr so viel Lob. Lob dafür wie ich bin, Lob dafür wie gut ich mich akzeptiere. Als ich nach Hause kam, ging ich zu meinen Eltern und sagte zu ihnen: „Ich weiß nicht, was ihr richtig gemacht habt, aber irgendwas habt ihr richtig gemacht.“

 

Nach dem für mich hilfreichen Treffen (dafür noch mal Danke) reifte in mir eine Entscheidung: „Nein so nicht. Ich werde mich noch ein letztes Mal operieren lassen.„


Meiner Mutter zeigte ich das Ergebnis noch ein Mal und ihre Aussage verstand ich als Zusage, dass sie versteht, wenn ich mich wieder operieren lasse.


 

Bei dem nächsten Kontrolltermin, mein Arzt wollte schon wieder gehen, fragte ich ihn also, wann kann ich wieder operiert werden. Er daraufhin: „Ostern“. Und ich nur: „Ich hatte mich schon auf Weihnachten eingestellt, ist das möglich?“ Er war daraufhin ganz erstaunt und meinte „Ich kann mich noch daran erinnern, dass sie nie wieder in ein Krankenhaus gehen wollen. Ich dachte ich müsste sie und ihre Eltern erst wieder langsam darauf vorbereiten.“


Nein das musste er nicht, ich wollte, dass alles so schnell wie möglich vorbei war. Warum warten?


 

Mein Arzt ist ein netter Mensch, nicht so wie ein Klischee-Schönheitschirurg. Er selbst war genauso gefrustet wie ich, weswegen er sich für mich bei meiner Versicherung einsetzte. Ich mag ihn wirklich und bin froh, dass ich an ihn gelangt bin. Er verbrachte ganze Abende und Wochenenden bei mir im Krankenhaus, ertrug meine Sturheit und mein Weinen. Er war menschlich. Darum blieb ich auch bei ihm, trotz der Probleme bei der letzten OP, er war daran nicht schuld, mein Körper hatte den Fehler gemacht. So wie es aussieht leide ich zusätzlich noch unter einer Gerinnungsstörung aber das ist wieder eine andere Geschichte, die nicht hier her gehört.


Bei meinem Aufklärungsgespräch im Herbst entschieden mein Arzt und ich, dass er meinen Muskel mit einem Anbauteil „bauen“ würde. Darum müsse er links auch ein größeres Implantat einsetzen. Rechts würde er es daran anpassen. Nach der OP hätte ich also B/C. Ich stimmte zu und unterschrieb die längste Risiko- und Aufklärungsliste meines Lebens.


Der Tag der OP rückte näher und ich wünschte mir eine Fernbedienung fürs Leben. Ich wollte, dass es vorbei war. Noch so viele Stunden. Noch viel zu viele Minuten. Hatte ich mich richtig entschieden? Würde wieder etwas schief gehen? Wäre ich Weihnachten wieder draußen?

 

Der Tag der OP kam, ich wurde operiert und hatte das erste Mal in meinem Leben den Wow-Effekt, den Effekt den ich mir im Sommer so gewünscht hatte, endlich war er da.




Nun sitze ich hier, bin 23 und wurde vor genau einer Woche operiert. Einen Tag vor Weihnachten wurde ich entlassen. Weihnachten war am Samstag und heute haben wir Dienstag. Heute wurde mir die letzte Drainage gezogen und ich bin glücklich. Ich habe keine Schmerzen mehr und kann mich mit Stolz im Spiegel ansehen. Natürlich ist es nicht perfekt. Aber es ist besser wie vorher und somit ist es gut. Ich bin froh, dass ich diesen Schritt noch mal gewagt habe bzw. ich mich für die OP doch noch entschieden habe. Ich weiß, dass ich es weiter geschafft hätte ohne OP aber jetzt sehe ich eine reale Chance dafür das ich mich akzeptieren und lieben kann. Ich freu mich jetzt schon auf den Frühling und auf den Sommer, auf Bikinis, Streifenkleider, kann kaum den Kauf meines ersten BHs erwarten. Ich bin gespannt auf die Zukunft und stolz auf die Vergangenheit. Glücklich über all die Erfahrungen die ich gesammelt habe. Ich bin eine Amazone - thank god. Wer hätte gedacht, dass ich jemals fähig bin das zu sagen? Bis dahin war es ein langer Weg, den ich jedoch nie alleine ging. Danke an meine Familie, die mir immer Rückhalt gegeben haben, danke an meine Freunde, die mir zeigten das der Mensch mehr ist wie Muskeln und Brust, danke an meine Psychologin (Geht ruhig in Therapie, daran ist nichts schlimmes, es hilft wirklich, der Schritt dahin ist schwer, ich weiß, aber es ist die Überwindung Wert.) die, die letzten zwei Jahre alles ertragen hat und mir immer wieder sagte, dass alles so verständlich ist, dass ich stark bin, dass ich alles schaffen werde und danke an jene aus dem Forum, mit denen ich im letzten Jahr so viel Kontakt hatte. Besonders möchte ich drei Frauen danken. Der einen dafür, dass sie immer für mich da war, wenn es um das Thema Jungs ging. Der anderen dafür, dass sie immer da war, wenn ich zweifelte und die mich ermutigte, zu tun was ich wollte. Und der letzten dafür, dass sie in mir Zweifel weckte, ob die OP notwendig ist oder es doch so gut ist wie es ist.


DANKE.



Nun ist alles vorbei und mir bleibt nur noch eins zu sagen, ich bin froh und stolz auf meine Vergangenheit. Ich möchte sie nicht ändern und möchte mein Poland-Syndrom auch nicht mehr hergeben oder tauschen. Denn ich wäre nicht ich ohne es. Und ich bin gespannt auf meine Zukunft. Du, lieber Leser, wirst leider nicht wissen, wie es weiter geht, aber sei dir sicher, ich werde alles schaffen, was ich mir vornehme; denn erstens bin ich nicht allein und zweitens habe ich bin jetzt alles geschafft was ich wollte. Ich bin eine selbstbewusste junge Dame geworden.


 

Noch eins zum Schluss, lieber Leser, bitte verurteile mich nicht wegen meinem Wankelmut. Denn du hast kein Recht dazu. Denn entweder du bist das, was in meinen Augen perfekt ist oder du hast das geschafft an dem ich scheiterte. Sich selbst akzeptieren zu können mit allen Fehlern. Mein Problem war immer das Wissen, dass ich normalerweise anders aussehen könnte. Dass es eine Laune der Natur ist, dass es mich erwischte. Somit gönn mir mein Glück, mein Leben, so, wie ich es will.


Mein Text ist eine Hommage an das Leben. Gestalte dir dein Leben so wie du es willst. Werde glücklich als Amazone oder werde glücklich als operierte Amazone. Egal was du bist, du wirst glücklich werden. Denn jeder ist seines Glückes Schmied, jeder hat ein Recht auf Glück und das Wichtigste, wir werden alle glücklich werden.


 


P.S.: It's alright. Even though we had to struggle. Sometimes. Even if we stumbled. It's all good. Cause I learned how to stay on my feet. It's alright. Even though we had to struggle. Sometimes. Even if we stumbled. It's all good. Cause I learned how to do for me. If my life's like your life, then I want for you to know. There's not a thing in the world you can't achieve. If your life's like my life, you got to keep on keeping on. Cause there's so much more you can be.


Songtext: Joy Denalane


 


„Lass dich nicht unterkriegen. Sei frech und wild und wunderbar.“

Astrid Lindgren



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